In Merzen will die Caritas Nordkreis Pflege als Träger des Caritas-Pflegedienstes Fürstenau-Neuenkirchen sowie der Tagespflege und der ambulant betreuten Hausgemeinschaft im Gemeinschaftshaus St. Franziskus die „Bildschirmpflege“ erproben. Beteiligt an diesem Modellversuch, das die ambulante Pflege im ländlichen Raum stärken soll, ist auch die im Gemeinschaftshaus untergebrachte Hausarztpraxis des Merzener Allgemeinmediziners Martin Jürgens. Das Land Niedersachsen fördert die Versuchsphase mit einem Zuschuss von 48.000 Euro.
Eich: Das ist ein Thema der Zukunft
Und darum geht es: Angesichts immer knapper werdenden Ressourcen – die Zahl der Pflegefachkräfte und der Landärzte sinkt, während die Zahl der zu Pflegenden angesichts des demografischen Wandels immer größer und die Zeit der Pflege immer länger wird – steht die Gesundheitspolitik vor der Herausforderung, die Zusammenarbeit zwischen Pflege und Medizin weiter zu verbessern. „Das ist ein Thema der Zukunft“, sagt Berthold Eich, Prokurist der Caritas Nordkreis Pflege. Doch bevor in der Pflege 4.0 Roboter die Fachkräfte unterstützen und ergänzen, „gibt es noch viele Vorstufen unter Einsatz digitaler Technik“. Die sogenannte Bildschirmpflege sei eine davon, sie bringe Patient, Pflegekraft und Arzt näher zusammen. So würden Doppeluntersuchungen vermieden und Pflegekräfte und Ärzte entlastet.
So lange wie möglich Pflege in den eigenen vier Wänden
Fachleute gehen davon aus, dass in Zukunft immer mehr Menschen auch mit sehr komplexen Krankheitsbildern in den eigenen vier Wänden gepflegt werden wollen. Das aber sorgt für Herausforderungen bei der Betreuung und Pflege, die Anforderungen an eine Zusammenarbeit zwischen Pflege, Medizin, Ergotherapie, Pharmazie und Angehörigen werden höher. Dazu kommt, dass das Vereinsamungsrisiko steigt angesichts der zunehmenden Singularisierung der Gesellschaft. Mit anderen Worten: Kinder und Eltern leben nicht mehr unter einem Dach oder in unmittelbarer Nähe, Singles fehlt naturgemäß die nachfolgende Generation. Unter diesen Bedingungen fällt es schwer, auch bei chronischen Erkrankungen so lange wie möglich zu Hause zu leben.
Telemonitoring-Plattform im Gemeinschaftshaus Merzen
Im Gemeinschaftshaus St. Franziskus in Merzen soll eine Telemonitoring-Plattform eingerichtet werden. Hier laufen alle Daten von Hausarzt und Pflege zusammen. Wie es funktionieren könnte, zeigen Hausarzt Martin Jürgens und sein Patient Heinrich Eggemann bei der offiziellen Vorstellung des Modellprojekts. Eggemann misst mit einem Blutdruckmessgerät am Finger seine Werte, die über Bluetooth auf den Tablet-PC übertragen und an besagte Datenplattform übermittelt werden. Das wäre mithilfe selbstauswertender Geräte auch für andere Vitalwerte (EKG) und Laborwerte (Blutzucker) möglich. Werden kritische Werte überschritten, bekommt entweder der Hausarzt oder die leitende Pflegekraft eine Information über den erfassten Gesundheitszustand, beide können dann umgehend eingreifen.
Effektiverer Einsatz von knappen Ressourcen
Über den Tablet-PC – alle Schritte sind selbsterklärend, die Oberfläche bedienerfreundlich – erhält der Patient umgehend Hinweise, was er selbst tun kann. Beispielsweise wird er an die regelmäßige Einnahme von Medikamenten erinnert. Der Vorteil: Akteure der ambulanten Pflege werden – soweit möglich – von Routineaufgaben entlastet, die Technik übernimmt die Dokumentation des erfassten Gesundheitszustandes. „Das ist ein innovativer Lösungsansatz, der erstmalig in Deutschland eingesetzt wird“, ergänzt Martin Schnellhammer der Plattform Living Lab . In diesem Zusammenschluss entwickeln Landkreis Osnabrück, Bistum Osnabrück sowie Hochschule und Universität Osnabrück Innovationen im Bereich Wohnen und Pflege. Nicht nur Bewohner der ambulant betreuten Wohngemeinschaft im Gemeinschaftshaus St. Franziskus sollen mit dem Tablet-PC ausgestattet werden, auch Klienten des Pflegedienstes im ländlich geprägten und sehr weitläufigen Einsatzgebiet.
Ein Kulturwandel steht bevor
nnten mithilfe der Bildschirmpflege „die knappen Ressourcen von Ärzten und Pflegekräften effektiver eingesetzt werden“. Routineuntersuchungen wie Blutdruckmessungen könnten so schneller erledigt werden, „die eingesparte Fahrzeit der Pflegekraft kommt letztlich allen Patienten zugute“. Die Digitalisierung verändere das Leben zum Positiven, „auf dem Land ist sie auch ein Stück Dableibensvorsorge“. Anja Fels, Fachdienstleiterin Soziales beim Landkreis Osnabrück, ist wie Neuenkirchen Samtgemeindebürgermeisterin Hildegard Schwertmann-Nicolay der Auffassung, dass mit Telemedizin und Bildschirmpflege „ein Kulturwandel bevorsteht und die Skepsis bei zu Pflegenden und Patienten zunächst noch groß ist“. Es gelte, die Akzeptanz zu heben und behutsam auf die neuen Möglichkeiten vorzubereiten. „Das könnte ein Weg in die Zukunft sein“, ergänzt Martin Jürgens. Schon heute hätten viele seiner Patienten „Angst, in Zukunft nicht versorgt zu werden“. Das Modellprojekt biete Chancen, diese Bedenken zu nehmen und viele Möglichkeiten auszuprobieren, um die ambulante Pflege auf dem Land zu stärken, ist der Allgemeinmediziner überzeugt.